Ausgabe 4/2022, November

WIdO-Themen

Arzneimittelkompass: Qualität im Fokus

Eine qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung ist für jede Gesellschaft essenziell. Wie es um diese in Deutschland bestellt ist, steht im Mittelpunkt des Arzneimittel-Kompasses 2022.

Qualitativ hochwertige, wirksame und unbedenkliche Arzneimittel sind eine notwendige, aber noch keine hinreichende Voraussetzung für eine gute Arzneimittelversorgung. Zunächst muss eine bedarfsgerechte Therapie zur Verfügung stehen und eine hinreichende Einsatzbreite der Arzneimittel unter Berücksichtigung ihrer Einsatzgebiete sichergestellt sein. Außerdem muss das medizinische Personal die Arzneimittel angemessen einsetzen, und Patientinnen und Patienten müssen sie richtig anwenden.

Der Arzneimittel-Kompass 2022 fokussiert die Arzneimittelversorgung verschiedener Gruppen, für die Herausforderungen in Bezug auf eine optimale Arzneimittelversorgung existieren. Dies trifft insbesondere auf ältere Patienten zu. Die Abbildung zeigt, dass diese Gruppe besonders häufig Arzneimittel verordnet bekommt. Während im Jahr 2021 insgesamt drei Viertel aller Versicherten mindestens eine verordnete Tagesdosis erhielten und damit als Arzneimittelpatienten galten, traf dies auf beinah alle Versicherten zu, die älter als 70 Jahre waren. Auf die Versicherten über 65, die 22 Prozent der Gesamtpopulation darstellen, entfielen 2021 insgesamt mehr als die Hälfte (56 Prozent) der verordneten Tagesdosen.

Ältere Menschen müssen aufgrund von mehreren chronischen Erkrankungen oft nicht nur ein Arzneimittel, sondern gleich mehrere gleichzeitig einnehmen. Das stellt nicht nur die Patienten selbst, sondern auch die Ärzte vor Herausforderungen. Dabei kommen häufig auch für Ältere potenziell inadäquate Medikamente zum Einsatz, wie die ersten Analysen der Verordnungsdaten auf Basis der in diesem Jahr aktualisierten PRISCUS-2.-Liste zeigt: Nahezu jede zweite ältere GKV-versicherte Person erhielt eine Verordnung eines potenziell inadäquaten Medikaments. Die aktualisierte Liste der potenziell inadäquaten Arzneimittel wird ab Dezember 2022 kontinuierlich produktbezogen mit der Stammdateiplus des GKV-Arzneimittelindex im WIdO einem erweiterten Nutzerkreis zur Verfügung stehen.

Der Arzneimittel-Kompass 2022 wird von Helmut Schröder, Dr. Carsten Telschow und Dr. Melanie Schröder vom Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO), Prof. Dr. Petra Thürmann von der Universität Witten/Herdecke und Prof. Dr. Reinhard Busse MPH von der Technischen Universität Berlin herausgegeben. Er ist am 17. November 2022 erschienen und als kostenfreies eBook verfügbar.

Dr. Carsten Telschow ist Forschungsbereichsleiter Arzneimittel im WIdO.

„Gerade für ältere Menschen ist die Arzneimitteltherapie mit besonderen Herausforderungen verbunden. Für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte bedeutet dies, Erkenntnisse der Wissenschaft in der Praxis umzusetzen.“

Dr. Carsten Telschow ist Forschungsbereichsleiter Arzneimittel im WIdO.

Gesundheitsatlas: Große Unterschiede bei Herzpatienten

Insgesamt 4,9 Millionen Menschen in Deutschland sind von der koronaren Herzkrankheit betroffen. Dies entspricht einem Anteil von 8,3 Prozent der über 30-Jährigen in Deutschland. Der aktuelle Gesundheitsatlas koronare Herzkrankheit (KHK) des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) beleuchtet Unterschiede nach Alter, Geschlecht und Regionen sowie Zusammenhänge mit Risikofaktoren.

Die koronare Herzkrankheit tritt vor allem bei älteren Menschen auf: Während die Krankheitshäufigkeit bis zu einem Alter von 49 Jahren unter zwei Prozent liegt, steigt sie mit dem Alter stark an und erreicht in den Altersgruppen ab 85 Jahren Werte von 41 Prozent bei Männern und 28 Prozent bei Frauen. Männer sind in allen Altersgruppen deutlich häufiger betroffen als Frauen.

Der Gesundheitsatlas schafft Transparenz über regionale Un- terschiede der Krankheitshäufig- keit der KHK in der Bevölkerung Deutschlands. Die Grundlage dafür ist ein etabliertes alters-, geschlechts- und morbiditätsadjus- tierendes Hochrechnungsverfah- ren auf Basis der AOK-Daten, das Ergebnisse zur KHK-Prävalenz der Bevölkerung bis auf Ebene der 401 Kreise und kreisfreien Städte liefert. Ergänzend zu den empirischen Analysen nach Alter, Geschlecht und Regionen enthält der Gesundheitsatlas Hintergrundinformationen zu Ursachen, Risikofaktoren, Folgen und Präventionsmöglichkeiten.

Regionale Unterschiede – mit besonders niedrigen Prävalenzen in Hamburg (6,3 Prozent) und hohen in Sachsen-Anhalt (13,0 Prozent) – weisen auf Präventi- onspotenzial in den Regionen hin. Zusammenhänge mit potenziellen, beeinflussbaren Risikofaktoren für die KHK werden in ökologischen Analysen auf regionaler Ebene erforscht. Neben strukturellen Faktoren, wie zum Beispiel dem Grad der Deprivation, werden auch individuelle Risikofaktoren wie das Rau- chen, Bluthochdruck und Diabetes untersucht. Hier können frühzeitige geeignete Präventionsangebote zur Herzgesundheit helfen, eine Erkrankung zu vermeiden.

Fehlzeiten-Report: Verantwortung und Gesundheit

Der aktuelle Fehlzeiten-Report „Verantwortung und Gesundheit“ richtet den Fokus auf die unternehmerische Sozialverantwortung im Bereich Gesundheit und deren praktische Umsetzung im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements.

Die Verantwortung für die Folgen des unternehmerischen Handelns zu akzeptieren und darauf basierend Systeme zu etablieren, die über das gesetzlich geforderte Maß hinausgehen, wird als „Corporate Social Responsibility“ oder „Unternehmerische Sozialverantwortung“ bezeichnet. Für den Bereich der Betrieblichen Gesundheitsförderung bedeutet dies unter anderem, dass Unternehmen auch Verantwortung für die Gesundheit ihrer Beschäftigten übernehmen und anerkennen, dass sozialverantwortliches Handeln Teil der Unternehmenskultur sein und auf allen Ebenen von allen Beteiligten gelebt werden muss.

Der im Oktober veröffentlichte Fehlzeiten-Report „Verantwortung und Gesundheit“ beschreibt, wie unternehmerische Sozialverantwortung für den Bereich Gesundheit gelingen kann und was dies für die Praxis des Betrieblichen Gesundheitsmanagements konkret bedeutet. In 18 Fachbeiträgen unterschiedlicher Autoren werden dabei unter anderem die Themen (Unternehmens-) Kommunikation, das Bedürfnis nach Sicherheit, Diversität, Führung, mobiles Arbeiten, Weiterbildungsmöglichkeiten und verantwortliche unternehmerische Wertschöpfungsketten erörtert. Ergänzt werden sie durch vier routinedatenbasierte Beiträge zu krankheitsbedingten Fehlzeiten in der deutschen Wirtschaft und zu Krankengeldausgaben.

Die WIdO-Themen zum Herunterladen

Analysen – Schwerpunkt: Qualität und Qualitätsmessung

WiZen-Studie: Überlebensvorteile bei Behandlung in zertifizierten Krebszentren

Olaf Schoffer und Jochen Schmitt, Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung, Universitätsklinikum Dresden, Monika Klinkhammer-Schalke, Tumorzentrum Regensburg

Zertifizierungsprogramme legen nach Vorgabe des Nationalen Krebsplans Qualitätsanforderungen fest und stellen die Umsetzung evidenzbasierter Behandlungsleitlinien sicher. Das durch den Innovationsfonds geförderte Projekt WiZen untersuchte diesbezüglich die Wirksamkeit der Gesundheitsversorgung für elf Krebsentitäten anhand von Daten der gesetzlichen Krankenversicherung und klinischer Krebsregister. Analysiert wurde das Überleben der Krebspatienten für Krankenhäuser mit und ohne Zertifikat der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG). Bei allen betrachteten Krebsarten wiesen die risikoadjustierten Modellierungen auf zumeist statistisch signifikante Überlebensvorteile von in zertifizierten Zentren Behandelten hin. WiZen stärkt somit die Evidenz zum Überlebensvorteil der Behandlung in zertifizierten Krebszentren erheblich und kann als Modell für ein zukünftiges Monitoring der onkologischen Versorgung dienen. Eine klare Steuerung von Tumorerkrankten in zertifizierte Zentren hat ein hohes Potenzial, die Versorgung und das Überleben der Betroffenen zu verbessern, und sollte daher gesundheitspolitisch unterstützt werden.

Qualitätssichernde Maßnahmen und Sterblichkeit nach Schlaganfall

Max Geraedts, Dijana Ebbeler und Michael Schneider, Institut für Versorgungsforschung und Kliniksche Epidemiologie, Philipps-Universität Marburg

Zur Verbesserung der Schlaganfallversorgung sind in Deutschland verschiedene qualitätsfördernde Maßnahmen eingeführt worden. Besonders prominent sind die in fünf Bundesländern etablierte externe Qualitätssicherung (eQS) sowie die Versorgung in Stroke Units. Die Wirksamkeit dieser beiden Maßnahmen ist bisher unzureichend beforscht. Das Innovationsfonds-Projekt QUASCH hat gezeigt, dass im Vergleich zu einer Behandlung ohne eQS das Sterberisiko unter eQS etwas geringer war. Die Behandlung in einer Stroke Unit reduzierte das Risiko stärker. Das Sterberisiko stieg mit dem Alter, Komorbiditäten und Pflegebedürftigkeit. Ältere Menschen und Frauen wurden seltener in Stroke Units behandelt. Die Behandlung von Schlaganfall- Betroffenen unter eQS-Bedingungen und stärker noch in einer Stroke Unit geht mit besseren Versorgungsergebnissen einher. Die Konzentration der Versorgung in besonders qualifizierten Einrichtungen sollte weiter forciert werden, wobei älteren Menschen eine Stroke-Unit-Behandlung nicht vorenthalten werden darf.

Qualitätsindikatoren für stationäre Leistungen: das Verfahren Qualitätssicherung mit Routinedaten (QSR)

Elke Jeschke und Christian Günster, Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO), Berlin

Die Nutzung von Routinedaten ist neben der Fall- und Einrichtungsdokumentation fester Bestandteil der stationären Qualitätssicherung. Sozialdaten der Krankenkassen lassen sich aufwandsarm erheben und können neben Komplikationen im Primäraufenthalt komplikationsbedingte Folgebehandlungen und Wiederaufnahmen erfassen. Das aus einem Forschungsprojekt hervorgegangene Verfahren Qualitätssicherung mit Routinedaten zeigt auf, wie eine routinedatenbasierte Qualitätsmessung stationärer Leistungen erfolgen kann und wie Qualitätsergebnisse berichtet werden können. Dabei müssen die Herausforderungen dieser Datenquelle beachtet werden.