Dualer Krankenversicherungsmarkt

Die Grundstruktur des deutschen Krankenversicherungsmarktes ist weltweit einzigartig: Während fast 90 Prozent der Bevölkerung einer Krankenkasse der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) angehören, haben die übrigen rund zehn Prozent – im Wesentlichen Beamte, Selbstständige und besserverdienende Arbeitnehmer – eine private Krankenversicherung (PKV).
 
Das WIdO befasst sich regelmäßig mit diesem Nebeneinander von GKV und PKV, das in mindestens dreifacher Hinsicht problematisch ist.

  1. Gesellschafts- und wettbewerbspolitisch: Unterschiedliche individuelle Wahlmöglichkeiten beim Krankenversicherungsschutz, die sich nach sachfremden Erwerbs- und Einkommenskriterien richten, sind gesellschaftspolitisch fragwürdig. Gleichzeitig lösen sie einen weithin unfruchtbaren Systemwettbewerb um die relativ kleine Gruppe wechselfähiger Versicherter aus, bei dem Qualität und Wirtschaftlichkeit der Gesundheitsversorgung keine nennenswerte Rolle spielen.
  2. Verteilungspolitisch: Ausgerechnet Privatversicherte, die im Vergleich zur Gesamtbevölkerung überdurchschnittlich gut verdienen und zugleich unterdurchschnittlich von gesundheitlichen Beeinträchtigungen betroffen sind, sind nicht an der solidarischen Finanzierung eines umfassenden Krankenversicherungsschutzes beteiligt.
  3. Allokationspolitisch: Das Nebeneinander unterschiedlicher Abrechnungs- und Honorarsysteme in der ambulanten ärztlichen Versorgung – Sachleistungsprinzip auf der Basis des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM) in der GKV, Kostenerstattungsprinzip auf der Grundlage der Gebührenordnung Ärzte (GOÄ) in PKV und Beihilfe – erschweren sowohl die bedarfsgerechte räumliche Verteilung der Ärztinnen und Ärzte als auch einen primär an Behandlungserfordernissen orientierten Patientenzugang insbesondere zu ambulant tätigen Fachärzten, was zu längeren Wartezeiten auf einen Arzttermin führen kann.

Darüber hinaus setzt sich das WIdO mit wiederholten Versuchen der PKV auseinander, das dysfunktionale Nebeneinander von GKV und PKV mit gezielter Mythenbildung zu rechtfertigen oder sogar als positiv darzustellen – etwa im Hinblick auf eine vermeintliche Rolle der PKV als Innovationsmotor für die gesamte Bevölkerung.

Analyse einzelner Systemparameter

Neben der Auseinandersetzung mit diesen Fragen aus der Systemperspektive GKV/PKV untersucht das WIdO immer wieder die Ausgestaltung und die Wirkungsmechanismen einzelner Systemparameter, wie Kostenerstattung, Zuzahlungen oder Kapitaldeckung, und zwar oftmals auch in unmittelbarer Reaktion auf konkrete Diskussionszusammenhänge der aktuellen Gesundheitspolitik.

Blick über die Landesgrenzen

Um Erkenntnisse aus den Erfahrungen anderer Länder für die deutsche Reformdebatte nutzbar zu machen, blickt das WIdO bei seiner Forschung auch über den nationalen Tellerrand. Das betrifft zum Beispiel Managed-Care-Erfahrungen aus der Schweiz oder Erfahrungen mit der Hausarztversorgung in den Niederlanden. Dabei ist ein hinreichend differenziertes institutionelles Verständnis der untersuchten Länder erforderlich, um die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen der transnationalen Übertragbarkeit länderspezifischer Erkenntnisse hinreichend genau abschätzen zu können.

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